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Rahmenerzählung/A bridging narrative
1. Aus der Bar:
   Linz Taxifahrer, Fremde in der Stadt, eine Bemerkung, das Notiz-buch

Sie trafen sich gewöhnlich in der Bar, wo ich arbeite, zwei Frauen und einMann. Eine der Frauen war ziemlich alt. Manchmal setzten sich andere zuihnen an den Tisch, aber es war klar, wer das Sagen hatte. Ich hatte nicht vorzuzuhören. Bei der Arbeit konzentriere ich mich nur darauf, die Bestellungenrichtig hinzukriegen. Alle können das bestätigen. Ich lausche nie absichtlich.

Vielleicht war es wegen der Fremden in der Bar, daß sie sich daheim fühlten.Oder daß sie sich jetzt fast als Stammgäste fühlten. Wie auch immer, vor einpaar Wochen gab es eine Änderung. Ich konnte sehen, daß die drei begonnenhatten, nicht mehr so vorsichtig zu sein. Fast jeder hätte sie über ihre Plänesprechen hören können.

Ich hatte zwar eine Methode entwickelt, ihre Rechnung sehr langsam auszu-rechnen, so daß sie wieder mit der Unterhaltung begannen, während ich nochdastand, aber das zählt nicht. Ich konnte nichts dafür, daß ich mitbekam, wassie sagten. Es gab Fetzen einer Geschichte, die ich nie zuvor gehört hatte, diesich jedoch trotzdem vertraut anhörte, über einige in der Nähe von Linzgespeicherte Kunstwerke, die verschwunden waren. Nachts dachte ich darübernach und mühte mich ab, die Lücken aufzufüllen. Manchmal schien alles füreinen Moment Sinn zu machen, aber dann zerschlug sich wieder alles. Ichwartete weiter in der Bar auf den Mann und die zwei Frauen, um mehr zuhören. Aber sie kamen nicht mehr.

Eine andere Gruppe sitzt jetzt an ihrem Tisch. Heute ging es in dem Gesprächum die bevorstehenden Wahlen, die Vorführungen Donnerstag abends amVOEST, den Anstieg der Friedhofsschändungen. An der Theke folgte Rita, einenicht mehr so ganz junge Frau in Jeans und einer schwarzen Kappe, demGespräch. Auf einmal sagte sie so laut, daß es jeder hören konnte: "Ich habedie ganze Sache so satt. Dreimal haben wir den Zweiten Weltkrieg in der Schuledurchgenommen. Immer wieder den Krieg. Nichts davor. Nichts danach.Immer wieder den Zweiten Weltkrieg. Ich möchte nichts mehr davon hören.Genug!" Ich räumte die Theke vor ihr ab und dachte darüber nach, wieschwierig es sein mochte, nicht so jung in Linz zu sein. Vielleicht gibt esunerledigte Dinge, sagte ich und dachte an die drei Fremden und ihre Pläne.Aber Rita marschierte verdrießlich und ein bißchen herausfordernd mitklappernden Clogs davon.

Für Barkeeper gibt es eine Art Hausordnungsvorschrift für derartige Situationen.Wir denken über einander, was wir mögen, sagen aber genau das, was dieSituation zuläßt. Mit dem Rest können wir uns außer Dienst beschäftigen, wieich es jetzt mache. Rita ist nicht die Einzige mit ihrem Wunsch zu vergessen.Aber dafür bin ich natürlich auch nicht die Einzige mit meinem, mich zuerinnern.

Es muß ebenfalls gesagt werden, daß eine ältere Frau, die Angst hat, für einenjungen Menschen etwas Verunsicherndes und Unangenehmes an sich hat. Dasist mir klar. Wirklich. Ich meine, wenn alle Mütter in Panik geraten, wer wirduns bedienen und uns retten? Und es ist eine Tatsache, daß ich älter bin alsmindestens die Hälfte der Stadt, und obwohl ich keine Angst habe, habe ichangefangen zu glauben, daß ich vielleicht Angst haben sollte. Wenn ich diessage, laufe ich das Risiko, dich zu verärgern. Ich sehe die Zeichen derFrustration um deinen Mund herum. Die Vergangenheit ist in der Vergangen-heit, denkst du. Eine Frau in meinem Alter, denkst du, sollte weltklug, selbst-sicher, abgeklärt sein, oder sollte zumindest einfach weitermachen und dieAngst den jungen Leuten überlassen.

An der Bar gibt es die gewöhnlichen Unterhaltungen über Kunst und andereDinge. Für einen Beobachter könnten sie sogar als unterhaltsames Gesprächangesehen werden. Die Themen bewegen sich Ð wie bei Bargesprächen so üblichÐ von den Kellern verborgener Phantasien zu den Dachböden, wo dieseumbenannt und als Hoffnung verkleidet werden. Es ist immer dasselbe. Aberheute wissen wir mit jedem Satz, während die Unterhaltung immer mehr in dieTiefe geht, daß es wirklich um etwas Anderes geht. Es ist eine unbehaglicheZeit. Das Posieren ist nicht mehr verspielt.

Die Wahrheit andererseits wird Ð wenn überhaupt Ð von den Linzer Taxifahrernkommen. Davon bin ich überzeugt. (Aus diesem Grund ist es fast ein Nachteil Ðich will da ganz ehrlich sein Ð, ein Auto in dieser Stadt zu besitzen.) Die Fahrerwissen alles, wo die Besprechungen stattfinden, zu welchen Zeitpunkten, mitwas für Teilnehmern, wer sie einberufen hat und wie lange sie dauern. DieTransitbar ist nicht der Haupttreffpunkt der Taxifahrer. Sie ist zu weit vomBahnhof entfernt. Aber es wird gesagt, daß sie Ð besonders für ausländischeFahrer Ð das Stammlokal in der Stadt ist.

Eine Zeit lang letzten Frühling konnte ich an Abenden, wo ich allein Diensthatte und die zwei Frauen und der Mann zur selben Zeit hier waren wie dieTaxifahrer, alles mitbekommen, von verschlüsselten Anspielungen auf nächt-liche Treffen auf der einen Seite der Bar bis zu Plänen für die Rekonstruktionverlorener Kunstwerke, die für das Führermuseum bestimmt waren auf deranderen. Es schien alles langsam ein Teil derselben Geschichte zu sein.Ich verstehe nicht immer genau, was ich höre, und dann ist auch viel los in derBar, aber vor ein paar Monaten habe ich angefangen, ein besonderes Notizbuchzu führen. Ich versuche, alles genauso aufzuschreiben, wie ich es höre. Undwenn jemand einen Zettel oder ein Papier zurückläßt, wie es manchmalgeschieht, dann klebe ich die hinein.

Jag förstår inte alltid vad det är jag hör och det blir rörigt i baren, men för några månader sen började jag med en särskild anteckningsbok. Jag försöker skriva ner allting precis som jag uppfattar det. Och om vilket ibland händer, en anteckning eller ett dokument glöms bort, klistrar jag in den.

Das Notizbuch ist jetzt voll, und es ist an der Zeit, jemandem davon zuerzählen. Ich habe dich hier schon vorher gesehen und habe gesehen, was duliest. Ich dachte, du wärest vielleicht bereit, mir einen Rat zu geben. Darf ichdir noch etwas zu trinken bringen? In ein paar Minuten habe ich Feierabend.Noch etwas. Es hat sehr lange gedauert, alles so genau aufzuschreiben. Ich hoffe,daß du es mir nachsiehst, wenn ich dich daran erinnere, daß das, was du lesenwirst, die Wahrheit ist. .